Daniel Gerer

Europa 2050 – unsere Zukunft, Visionen, Möglichkeiten

Daniel Gerer ist Bundesvorsitzender der Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) und Generalsekretär des Bundes Europäischer Jugend (BEF). Im Rahmen dieser Organisationen partizipiert er in europäischen Seminaren und Kongressen und engagiert sich für mehr Jugendbeteiligung in Europa.

Zukunft Europas – Ideen, Visionen, mögliche Umsetzung

Es war einmal…

…die Idee einer geeinten Gemeinschaft, die für Frieden, Stabilität und wirtschaftlichen wie auch persönlichen Wohlstand einstehen sollte. Der Mensch und seine Würde sollten im Mittelpunkt einer solidarischen und partizipatorischen Demokratie stehen.

Politische Freiheit und ökonomischer Wohlstand sollte in einer gemeinsamen grenzüberschreitenden Vorstellung niedergeschrieben und realisiert werden. All das sind Urgedanken der Gründung einer europäischen Union, in der wir Europäer heute leben.

Allerdings fängt unser Europa an zu bröckeln. Immer mehr Probleme tun sich auf und der Weg zur Erfüllung unserer Vision eines einigen Miteinanders scheint sich schwieriger zu gestalten als angenommen. Um den Bürgern einen harmonischen und wirtschaftlich starken Lebensraum zu bieten muss sich Europa als politisches Konzept sowohl nach innen als auch in Richtung von außenpolitischer Fragen stärken.

Welche Visionen umhüllen derzeit den Europaraum? Soll Europa eher eine Union der Staaten oder eine Union der Völker werden? Wie weit kann oder soll sich die EU ausdehnen? Wie weit hängt bei einer solchen Ausdehnung die Anzahl der Mitgliedsstaaten von einer Funktions- und Handlungsfähigkeit der Union ab? Wie kann eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik aussehen? Und welche Auswirklungen werden alle neuen Entwicklungen Europas auf Nachbarstaaten oder Partnerländer haben?

“Ein Staaten-, Wirtschafts- und Sicherheitsbündnis mit etwa vierzig Demokratien, 650 Millionen Menschen in Regionen, von denen zwei Weltkriege ausgingen und die nach wie vor einen Großteil des weltweiten Wohlstandes produzieren.” So fasst Timothy Garton Ash, ein britischer Historiker mit Forschungsschwerpunkt der Europäischen Gegenwartsgeschichte, seine Vision einer europäischen Zukunft zusammen.

Drei Perspektiven einer Vision

Betrachten wir aber erst einmal die gegenwärtig verbreiteten Vorstellungen der zukünftigen Union, welche sich in drei Hauptströmungen einteilen lassen: ein „koloniales Europa“, ein „universalistisches Europa“ und ein „kosmopolitisches Europa“.

Koloniales Europa

Das „koloniale Europa“ wird von dem derzeitigen europaweiten Vormarsch der Rechtspopulisten gekennzeichnet. Die Vertreter dieses Europas verteidigen einerseits die europäischen Nationen und stehen für nationale Identitäten ein, andererseits blicken sie fast wehmütig auf die Zeit zurück, in der Europa die Welt kolonial beherrschte.

Daher wünschen sie sich ein Europa mit „wahren“ Europäern und leisten damit Widerstand gegen Migration und eine „Islamisierung“ der Welt. Für dieses Europa fehlt jedoch sowohl die demografische als auch die materielle Grundlage, denn Multikulturalismus ist aus Europa seit je her kaum wegzudenken.

Universalistisches Europa

Das Konzept eines „universalistischen Europas“ verbindet die Vergangenheit Europas nicht mit Kolonialisierung sondern mit dem Siegeszug der Moderne. Die Entfaltung der Aufklärung, die Entwicklung von Menschenrechten und der des Rechtsstaats legen den Grundstein dieses Zugangs zur Europäischen Identität. Innerhalb dieser, von den Weltregionen abgehobenen Insel Europa, wird politischer und gesellschaftlicher Fortschritt ermöglicht und ausgebaut.

Kosmopolitisches Europa

Kann also nun ein „kosmopolitisches Europa“ zurück zur Kernidee und hin zu einer friedlichen Völkergemeinschaft führen?

Die Vorstellung eines kosmopolitischen Europas sieht die Idee der „Vereinigten Staaten Europas“ sowie auch Europa als „Union als Nationalstaaten“ als veraltet an. Es proklamiert eher einen neuen Souveränitätsbegriff der Nationalstaaten, in dem diese eine Stimme im europäischen Raum und weit darüber hinaus erhalten. Mit dieser Stimme könnten sie direkten Einfluss nehmen auf europapolitische Ereignisse. Wenn die Nationalstaaten ihre Macht in der EU bündeln, könnten sie dadurch auch Abhilfe und Lösungen für ihre nationalen Probleme schaffen.

Ein kosmopolitisches Europa würde des Weiteren einen neuen Identitäts- und Integrationsbegriff benötigen, der das Zusammenleben über Grenzen hinweg möglich macht. Die Vielfalt, die Europa ausmacht, wird nicht als Gefährdung empfunden, sondern als Quelle der europäischen Weltoffenheit. Diese Vielfalt, sei es in den Lebensstilen, den Sprachen oder den Demokratieformen, gilt es nach kosmopolitischer Sicht zu organisieren und als Quelle für europäische Produktivität zu nutzen. Dies erfordert aber auch den Abschied vom Nationalismus. An seine Stelle soll europainterne Kooperation und eine institutionelle Struktur treten. Um so ein Europa zu realisieren, bedarf es zudem eine Veränderung in der politischen Kultur und Leistung Europas.

Europa darf nicht weltweit Menschenrechte proklamieren, dann jedoch seine Grenzen für Flüchtlinge schließen. Es darf nicht selbstlose Militärinterventionen zur Sicherung der Zivilbevölkerung beschließen und gleichzeitig autoritäre Regime mit schweren Waffen beliefern.

Die Idee eines kosmopolitischen Europas geht einher mit der Idee einer dezentrierten Welt, ohne einen stark dominierenden Akteur. Die Aufgabe Europas wäre hier, sein zentrales Anliegen in diese Welt zu tragen, nämlich die „Expansion der Freiheit“.

So viel zu den gegenwärtigen Vorstellungen, wie ein Europa der Zukunft aussehen könnte.

Was wünscht die Politik

Die Politik selber ist sich derzeit noch nicht einig über ihre Europa-Vision. Was jedoch deutlich wird ist, dass sie an einem Europa als Wirtschaftsunion interessiert ist. So wünschen sich einige Politiker mehr Zusammenarbeit der Nationalstaaten in finanz- und steuerpolitischen Fragen.

Um den Souveränitätsverlust der Nationalstaaten befürchtet, spricht man sich zur Zeit noch vorsichtig für die Einführung eines gemeinsamen europäischen Finanzministers aus. Die eine Seite lehnt eine Zentralisierung der Kompetenzen ab. Die andere Seite verlangt nach einer Institution mit Durchgriffsrechten in Krisenzeiten. An eine Schaffung neuer Institutionen sei jedoch wiederum erst zu denken, wenn die bisherigen einwandfrei funktionieren und agieren.

Eine kontinuierliche Finanzpolitik auf EU-Ebene soll möglichst rasch ermöglicht werden, damit der Euro als europäische Währung gestärkt wird. Ob dies mit oder ohne der  Mitbestimmung der nationalen Parlamente geschehen soll, darüber wird zurzeit lebhaft diskutiert.

Neben dem Aufbau einer effizienten Wirtschaftsunion gehen Fragen auch in Richtung eines geeinten Auftretens nach Außen. Ein Europa, welches im UN- Sicherheitsrat geschlossen abstimmt und damit zu einer gewichtigen Stimme in weltpolitischen Angelegenheiten wäre ein wertvolles politisches Instrument.

Was Europa im Innersten zusammenhält?

Wenn man an die Zukunft Europas denkt, kommt man nicht um den Verfassungsbildungsprozess umher. Notwendige Institutionen, staatliche Durchsetzung, rechtliche Gestaltung und Sicherung – all das benötigt seine Legitimation, besonders in zukünftigen Zeiten. Ein größer werdendes Europa braucht gemeinsame europäische Werte und Wertvorstellungen. Es brauch nicht nur einen institutionellen Rahmen, sondern besonders einen verfassungsrechtlichen Rahmen, der diese auch in Zukunft sichern kann. Der derzeit geltende Vertrag von Lissabon gab der EU eine einheitliche Struktur und Rechtspersönlichkeit. Er soll Europa ein Stück demokratischer und handlungsfähiger machen. Der Verfassungsvertrag dient als Basis einer politischen Einheit, denn in ihm ist der Kerngedanke eines gemeinsamen und friedlichen Europas niedergeschrieben. Mit den in ihm verankerten Grundrechten und dem strukturellen Gefüge soll er bei allen weiteren Entwicklungen leitführend sein und in Richtung einer europäischen Identität führen.

Needs and Seeds

Wie aber lässt sich so eine gemeinsame Identität bilden? Bleibt das uns versprochene Wir-Gefühl doch eine Utopie? Braucht Europa kulturelle Integration? Wenn wir das Gefühl haben, unsere Stimme nicht zu hören, wie können wir uns dann beteiligen? Warum scheint die europäische Präsenz in der Öffentlichkeit so gering zu sein, wenn sie doch so wichtig für unser zukünftiges Miteinander ist? Wer an den Punkt kommt, an dem man sich die Frage nach der Notwendigkeit stellt, der kommt an dem Punkt, an dem Europa durch uns Gestalt annehmen kann.

„Wir brauchen dieses Europa, um einen Rückfall in die schlechten alten Zeiten des Krieges und der Barbarei zu verhindern“, antwortet Garton Ash, „Wir brauchen dieses Europa, um den beispiellosen Wohlstand und die soziale Sicherheit zu wahren, die Westeuropa im Laufe der letzten sechzig Jahre erarbeitet hat und jetzt versucht, mit dem übrigen Kontinent zu teilen, während es vor der Herausforderung des ökonomischen Wettbewerbs mit Asien und Amerika steht.[…] Außerdem brauchen wir Europa als Baustein für eine freie Welt.”

Europa ist ein Zukunftsprojekt, vorzugsweise unser Zukunftsprojekt.

Europa 2050 – unsere Zukunft, Visionen, Möglichkeiten (PDF)